Georg Stöger
Leben im Einklang mit der Natur
Wo immer etwas fehlerhaft ist, ist es zu groß. Das Leitbild des Philosophen Leopold Kohr hat Demeterbauer Georg Stöger zu seinem Unternehmenskonzept gemacht. Mit seiner Strategie des „Bewahrens“ profitiert er vom nachhaltigen Zeitgeist.
Es ist halb sieben Uhr morgens in Schleching. Lange Kuhhörner werfen im frühen Nebeldunst bizarre Schatten ins Gras. Vor der imposanten Bergkulisse der Chiemgauer Alpen grasen 20 Milchkühe zufrieden auf der Weide. Saftiger Klee und zahlreiche Alpenkräuter sind ihr wohl verdientes Frühstück nach dem Melken. Die Hörner sind das Kennzeichen des Demeterverbandes, der das Enthornen verbietet. „Die Milch ist besser durch die Hörner, denn die Kuh braucht die Hörner als Ausgleich für ihren komplexen Stoffwechselvorgang“, weiß Demeter-Bauer Georg Stöger und verweist auf neueste wissenschaftliche Untersuchungen der Uni Kassel.
Nach knapp eineinhalb Stunden Melken, Stallarbeit und Reinigung der Michkammer können seine Frau und er nun auch endlich frühstücken. Den kleinen fahrbaren Milchtank hat Stöger schon zur Abholstation gebracht. In der Zwischenzeit haben seine Frau und die jüngste Tochter Verena den Tisch im sommerlichen Garten gedeckt. Eine Idylle wie aus dem Bilderbuch.
Der Schein trügt nicht. Bauer Georg ist zufrieden mit seinem Leben. Der Demeter-Grundsatz „Im Einklang mit Mensch und Natur“ ist für ihn gelebte Alltagpraxis. Lange bevor er seinen Hof im Jahr 1997 nach biologisch-dynamischen Richtlinien umstellte, hatte er bereits einen anderen Weg als viele Kollegen eingeschlagen. Als Stöger seinen Kuhstall 1983 von Festmist auf Gülle umstellte, ersetzte er einfach Kunstdünger durch natürlichen Dünger. „Es hat mich einfach interessiert, ob der Betrieb auch ohne ein Gramm Kunstdünger funktioniert“, sagt Stöger.
Mit detaillierten Nährstoffexperten trat er den Beweis an. In den vergangenen 25 Jahren hat der Schlechinger auf dem 31 Hektar-Betrieb eigentlich genau das Gegenteil von dem getan, was jeder offizielle Landwirtschaftsberater empfohlen hätte. Er hat weder einen neuen Stall mit Melkstand gebaut, noch Flächen oder Kuhanzahl aufgestockt. Stöger ives- tierte lediglich in die Substanzerhaltung und bewahrte das Hofkonzept. Auf der Kostenseite wurde wiederum eingespart, was nur möglich war. „Was geht, machen wir selber“, erklärt Georg Stöger. Das minimalistische Konzept hat ihn zwar nicht reich, aber unabhängig gemacht. Sein selbstbestimmter Tagesablauf gefällt ihm ausgesprochen gut. Außer dem melken morgens und abends, kann er sich seine Zeit frei einteilen. Je nach Witterung macht er Heu oder Silage für den Winter, arbeitet im eigenen 2,5 Hektar großen Waldstück oder kontrolliert die 25 weiblichen Jungringer auf dem 14 Hektar großen Almtrieb. Bei schlechtem Wetter hält der Milchbauer Maschinen und Hof instand oder arbeitet im Büro.
Als sein Opa 1920 den Betrieb aufbaute, war dies der größte Bauernhof in Schleching. Bis zu 14 Menschen arbeiteten hier früher. Jetzt lebt nur noch eine Familie von dem Betrieb. „Ich habe schon immer extensiv gewirtschaftet. In dieser Region konnten wir mit dem Wachstum der Masse eh nicht mithalten und mussten andere Wege gehen“, erläutert der Demeter-Bauersein Gegenkonzept zum allgemeinen Devise. „Wachsen oder Weichen.“ Er beließ es bei der Betriebsaufstellung mit einer Milchquote von 81 000 Litern und suchte nach anderen Lösungswegen. Der heutige Kampf um Quoten und Pachtflächen ist für ihn nichts anderes als „modernes Raubrittertum“. Im Endeffekt begeben sich viele seiner Kollegen aus seiner Sicht durch die hohen Investitionen in eine endlose Wachstumsspirale. Wenn dann die Milchpreise wieder abstürzen, stehen die Betriebe vor dem finanziellen Ruin. Bei diesem Spiel wollt er nicht mitspielen.
Ein Professor hat ihm vor zehn Jahren erklärt, ein moderner Familienbetrieb könne nur mit einer Quote von 500 000 Liter Milch überleben. Dem hat Georg Stöger dann vorge- rechnet, dass diese Familie dann jeden Tag 14 Stunden arbeiten müsse und trotzdem nicht in Urlaub fahren könne. Für ihn war dies kein erstrebenswertes Lebenskonzept, sondern eher ein abschreckendes Beispiel für die nächste Generation.
„Wir sind mit unseren Kindern jedes Jahr in Urlaub gefahren“, berichtet Georg Stöger stolz. „Weniger wegen der Erholung, hier ist es ja schön genug. Sondern mehr wegen der Abwechslung.“ Seine Ehefrau Hildegard stimmt ihm zu: „Man muss schon versuchen, das alltägliche Leben lebenswert zu gestalten.“
Ihre Rechnung scheint aufzugehen. Die jüngste Tochter Verena hat gerade ihr Landwirtschaftsstudium begonnen und kann sich durchaus vorstellen, später in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. „So wie es jetzt ist, wäre es auch für mich perfekt“, sagt die Zwanzigjährige.
Ohne den Einstieg in die Bioproduktion wäre das Unternehmen allerdings wohl zum Scheitern verurteilt gewesen. Bei einem Milchpreis von 20 Cent hätte Stöger schon lange aufgeben müssen. Doch in der Region rund um Schleching, dem Achental, wurde vor zwölf Jahren ein Ökomodell ins Leben gerufen, das eine umweltverträgliche und zukunftsorientierte Entwicklung zielte. Allein im kleinen Ort Schleching stellten damals acht Bauernhöfe gemeinsam auf Bio um. Das mehrfach ausgezeichnete Zukunftsmodell unterstützt eine nachhaltige Entwicklung zum Erhalt der Kulturlandschaft, zur Sicherung landwirtschaftlicher Betriebe und zur Förderung eines naturverträglichen Tourismus. Von dem gezielten Ausbau dieser Regionalen Wertschöpfungskette profitiert auch der Demeterbetrieb. Denn die aufwendige Bewirtschaftung der Alm und damit der Erhalt der typischen Kulturlandschaft im Chiemgau rechnet sich nur, wenn die Milch entsprechend bezahlt wird.
Mit einem Milchpreis von 41 Cent, denn die Molkerei Berchtesgadener Land derzeit für Demetermilch zahlt, kommt der Hof über die Runden. Sorgen bereitet Stöger jedoch die aktuelle Milchpreisentwicklung für konventionelle Milch, da die Biopreise daran gekoppelt sind. „Wenn der Großteil der Verbraucher nur die billigsten Produkte kaufen will und eine nachhaltige Landwirtschaft dadurch nicht überleben kann, dann sollen sie es eben so haben. In der Schweiz wachsen jährlich bereits 4700 Hektar Almen einfach zu“, so Stöger. „Wenn die Gesellschaft nicht breit ist, den notwendigen Preis zu bezahlen und mein Betrieb nicht mehr rentabel ist, muss ich aufhören.“
Dies ist glücklicherweise noch nicht zu befürchten, denn das regionale Nachhaltigkeitskonzept ruht auf mehreren Säulen. So erzielt der wunderschön gelegene Demeterhof durch die Vermietung von zwei Ferienwohnungen kalkulierbare zusätzliche Einnahmen. Das Tourismusbereich trägt ein gutes Stück zum Betriebsergebnis bei“, erklärt Hildegard Stöger stolz. „Wir haben in unserer Region unsere Ursprünglichkeit beibehalten und das ist genau das, was die modernen Verbraucher heute wieder suchen.“ Dam nachhaltigen Lebensstil, dem eine bestimmte Zielgruppe heute wieder auf der Spur ist, haben die Chiemgauer nie verloren. „Wir sind so weit hinten, dass wir jetzt schon wieder vorne sind“, sagt Hildegard Stöger schmunzelnd.
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